Prolog:
Ich hoffe, dieser Bericht ist wie italienischer Salami, stinkiger Käse oder Rotwein: dass er mit der Lagerung besser wird. Ansonsten rechtfertigt sich die lange Entstehungszeit kaum…
Ein kristallklarer, langgestreckter See, mildes Mittelmeerklima, mediterranes Flair, weite Oliven- und Zitronenhaine umrahmt von einer alpinen Gebirgskulisse, eine emsige Hotelbar, ein geschlossener Jacuzzi und ein eisiger Pool. Diese Beschreibung kann nur auf einen Ort in Italien zutreffen – das Hotel Eden am wunderschönen Gardasee.
Dieses Jahr war allerdings alles anders. Vieles blieb uns der Gardasee vor allem wettermässig schuldig. Dafür bot er einige Überraschungen.
Doch von vorne. Die Anreise der erwartungsfrohen Senioren an ihr Trainings-Epizentrum begann auch dieses Jahr kriminell früh, unspektakulär, energieschonend, wortkarg und zivilisiert – wen wundert’s: Die beiden Busse mit den Frühaufstehern starteten bereits um 5.30 Uhr in Stammheim.
Im glatten Kontrast zur sich verdunkelnden Wolkendecke, heiterte sich die Stimmung in den Bussen mit jedem Kilometer auf. Dem düsteren Wetterbericht vertraute man optimistisch, der Regen würde schon nicht kommen. So war das Tradition am Gardasee – fast schon ein Naturgesetz. Aber schon die Suche einer Sonnenbrille im einen Bus sollte sich dann als schlechtes Omen herausstellen: Die abhanden gekommene Brille würde wenig bis gar nicht zum Einsatz kommen.
Der Schock: Mit Senioren im Hotel
Die erste Enttäuschung traf den FCS gleich bei der Ankunft wie ein Rotwein mit Zapfen: mit Vorfreude hatte man gleich von zwei Frauenmannschaften fabuliert, die für ihr Trainingslager im selben Hotel absteigen sollten. Darunter die vom Vorjahr befreundeten Damen des FC Berg. Tatsächlich war bei Ankunft des FCS die Rezeption belagert – aber nicht etwa von anderen Fussballerinnen, sondern von eher mürrisch dreinblickenden Seniorinnen und Senioren. Der Grund: Die deutsche Reisegruppe, nennen wir sie «Aktive Best Ager», hatte sich dasselbe Hotel gesichert – und anscheinend auch fast sämtliche Einzelzimmer, die für den FC Stammheim vorgesehen waren. Gleichzeitig führte eine kurzfristige Umbuchung dazu, dass die beiden angemeldeten Frauenmannschaften in andere Hotels ausweichen mussten – und das Chaos war perfekt. Drei, vier Senioren wurden kurzerhand in ein rund 15 Minuten entferntes Hotel umquartiert.
Besonders problematisch: Die deutschen Senioren schienen lärmsensibel. Ob das der Grund war, weshalb der Nachtwächter nach einer ersten nächtlichen Bierrunde deshalb fortan nachts um drei Uhr kein Bier mehr zapfen wollte, bleibt allerdings Spekulation.
Das Durcheinander war perfekt, als einige Spieler feststellten, dass sie ihr Zimmer mit einer rüstigen Dame aus Wuppertal oder einem gesprächigen Herrn aus Bielefeld hätten teilen müssen, um auch noch im Hotel Platz zu finden. Besonders kurios wurde es, als das Teammeeting des FCS an der Hotelbar durch einen Bingo-Abend im Nachbarraum gestört wurde und die Mannschaftstaktik mit einer ausführlichen Diskussion über die besten Kurorte in Bayern ergänzt wurde. Stühle und Walking-Stöcke flogen in der Folge durch die Luft, worauf die Carabinieri zu später Stunde eingreifen mussten.
Das hättet ihr wohl gern. Scherz beiseite: Lügen ist nicht schön. Aber die Wahrheit ist oft hässlicher als eine beschönigende Lüge. «Wir haben die Kunst, um nicht an der Wahrheit zugrunde zu gehen», sagte Nietzsche. Also: Dann und wann dürfen wir die Realität kunstvoll mit ein wenig Humor (und Fiktion) würzen. Die Wahrheit aber: Das Hotel war offenbar auf die nicht feine Art überbucht worden. Und wie immer war natürlich niemand schuld. Einige FCS-Herren mussten sich so mit einem weit entfernten Hotel begnügen. Kurzum: Der FCS war für einen Moment ausgedribbelt. Aber er holte zur Blutgrätsche aus. Rüedels Protest beim Hotel und den lokalen Fussballfunktionären Gianfranco und Vito, die unsere Reise geplant hatten, wirkte – teilweise: Einige Senioren fanden so in letzter Minute im gegenüberliegenden Hotel Unterschlupf.
Jacuzzi al dente
Ein zweiter kleiner Lichtblick: nach mehrmaligem Versprechen schaffte es die Hotel-Crew diesmal, den Jacuzzi tatsächlich in Betrieb zu nehmen. Was dann einige FCS-Senioren gleich auch ausnutzten. Doch im noch kühlen Jacuzzi hielt es kaum einer länger als eine halbe Stunde aus. Ab Tag 2 war dann auch dieser wieder abgedeckt.
Plangemäss wurde dann aber immerhin Sport getrieben. Die 22 Senioren – ja, die Zahl war Zufall und nein, wir hatten nie im Sinn zwei Mannschaften gegeneinander auflaufen zu lassen – hatten sich so sehr auf ihr Trainingslager am Gardasee gefreut: Sonne, perfekte Plätze und natürlich ein «Friendly Work Space» für die tägliche Regeneration war ja bestellt worden. Statt mediterraner Idylle erwartete das Team eine meteorologische Überraschung: das Wetter spielte nach eigenen Regeln. Dauerregen verwandelte den Rasen in ein Sumpfgebiet, das eher an eine Mischung aus Schwimmbecken und Kartoffelacker oder an ein Survival-Camp erinnerte. Englisches Fussballwetter eben, werden die einen Haudegen schulterzuckend entgegnen. Glück im Unglück: Während der Trainings setzte der Regen meistens aus.
Trotz Abschiebung der FC-Berg-Frauen kam es tatsächlich zum gemeinsamen Event mit den Damen. Ein morgendliches Grümpelturnier mit sechs Mixed-Teams sorgte am Samstag für heitere Stimmung und (am Samstag) ein torreiches Spektakel auf einem Kunstrasen-Kleinfeld, das alle wieder versöhnte.
Im Bus in schützender Wärme vor drei behelfsmässig an den Sitzen befestigten Handys, auf denen simultan Fussballspiele liefen, fragten wir nach der Gardasee-Bilanz. Den Platzverhältnissen entsprechend sei gut trainiert worden, meinte nachträglich etwa Chale auf dem Nachhauseweg. Viel zu viel mit dem Ball sei gespielt worden, war nebenan Garda-Trainer Ralf P. vor der Glotze ein, gerade in ein Skirennen vertieft. «Euch hätte man viel mehr ohne Ball laufen lassen sollen», so seine leise Kritik an sich selber. Er sei nun jedenfalls besser in Form als vor der Reise, meinte aber Chale versöhnlich. Dazu beigetragen habe sicher auch das Magnesium, das er während (und vor) dem Trip fleissig konsumierte. Er schätzte, dass er sich mittlerweile an die Top 15 der Senioren angenähert habe.
Kulturelle Magertour
Die kulturell-konsumbezogene Bilanz fiel diesmal eher mager aus. Der Wochenmarkt hatte nur wenige Stände zu bieten, nicht mal die Verkäufer gefälschter China-Ware lockten die Touristen im trüben Wetter aus den Löchern. Dies zumindest vermeldeten die Herren aus der hoch dekorierten «Kulturgruppe» nach dem traditionellen Spaziergang ans Ufer am Freitagmorgen. Vier Kleiderstände, je ein Fleisch- und Käsestand. Nicht gerade, was man sich von einer Shoppingtour erhofft.
Man munkelt allerdings, dass das dürftige Angebot und schlechte Wetter der Rückbesinnung der Kulturgruppe auf ihren Ursprungszweck förderlich gewesen sei, zumal sie dann eher auch kulturelle Institutionen wie Kirchen aufsuche. Entgangen sind mir leider solche Programmpunkte, doch gerade die Bewahrung gewisser Geheimnisse gehört ja sozusagen zu den löblichen Eigenschaften des nachhaltigen Individualtourismus. Dass diese Insider-Trips ja nicht im Lonely Planet erscheinen!
Immerhin blieb ihnen eines nicht verwehrt: nämlich den orientierungslosen Garda-Neulingen da als Identifikationsfiguren Rat zu geben, wo er gefragt war. Kunst, Kulinarik, Kultur und Kirche, so die Bestimmung der Kulturgruppe. Was auch immer davon hängen blieb: Protokolliert werden darf, dass immerhin die obligate Apérol-Spritztour, einige unvergessliche Handy-Schnappschüsse am verregneten See und (mit dem gesamten Team im Schlepptau) der Besuch eines Weinguts auch diesmal nicht fehlten.
Mitbringsel mit Promille
Vito, der Mitorganisator und Präsident des FC Garda, meinte bei der Weindegustation feierlich vor mittlerweile nur noch 20 durstigen Senioren – ganz nach seinem Vorbild der Trinkansprachen an ukrainischen Hochzeiten: «Ich freue mich, dass ihr wieder an den Gardasee gekommen seid. Die Zeit ist für mich immer speziell. Wenn ihr hierherkommt, fühle ich mich wie in der Schweiz.» Er freue sich auch, dass die Reisegruppe gegenüber dem Vorjahr angewachsen sei. Das helle die Stimmung trotz dem Sch…wetter etwas auf. Und er hoffe, dass wir alle auch etwas mitbrächten in die Schweiz.
Das taten wir tatsächlich – zumindest die meisten: Nebst zahlreichen Flaschen des verkosteten Weins auch Olivenöl, Käse, Fleisch und – spätestens bei der Rückfahrt – weitere kulinarische Andenken: Limoncello, Grappa, Amaretto, Amaretti, oder einen letzten italienischen Espresso. Und natürlich nahmen wir nebst den importierten Gras- und Sumpfresten an den Schuhen auch wieder viele schöne Erinnerungen, etwas Muskelkater und – vereinzelt – den obligaten Schlafmangel mit nach Hause.
Die Zwischenbilanz lässt erahnen, dass einiges an Agilität abverlangt wurde von den FCS-Senioren. Jacuzzi zu kalt, Wetter zu regnerisch, Platz zu schlammig, Hotel zu leise, weil zu überaltert (und überfüllt) und das Menu im Hotel: solid, aber ohne die im letzten Jahr gegen Ende servierte Resteverwertung «Pipo» – Fertigpizza + Pommes Frites (ein Muster an Stilbruch). Dafür: Stimmung wieder grossartig.
Portionen zu gross, müsste man aber der Komplettheit halber ergänzen. Denn apropos Resteverwertung: Nicht nur Lolo war von den Portionen, die im einen Restaurant aufgetischt wurden, wenig angetan. «Ich habe genug Armut gesehen», meinte er zur verschwenderischen Mengenberechnung: Ein Schnitzel war hier grösser als der ganze Teller, die Calzone grösser als ein durchschnittlicher Säugling. Man konnte die Hungrigen an einer Hand abzählen, die ihren Teller leer assen, der Rest verliess das Lokal röchelnd vor Sattheit. Ob da womöglich doch zu wenig trainiert wurde, was den Hunger genährt hätte? Die anderen Schweizer und deutschen Fussballmannschaften schien die Dekadenz bei der Portionierung jedenfalls nicht weiter zu stören.
La notte
Soviel zur Kultur im weitesten Sinn. Die wahre Magie unserer Reise entfaltete sich auch diesmal wieder nach den Trainingseinheiten, wenn wir uns jeweils fast nahtlos von der 3. Halbzeit in den charmanten Gassen der Stadt verloren, um einerseits die lokale Küche zu geniessen und die italienische Gastfreundschaft zu erleben, anderseits aber auch das nächtliche Kulturleben kennen zu lernen. Hier gehört etwa der Besuch der Pianobar, sozusagen der Hausbar der FCS-Touristen mit Live-Musik (oder live mitgesungener Musik) zum Standardprogramm. So verliessen einige die Bar breiter als der Gardasee.
Cantaaare… o no?
Einzig einer war vermutlich enttäuscht – und wohl etwas gekränkt (ausser mir selber): Schiri-Obmann Peppi, unterstützt von einigen der letztjährigen Augenzeugen, wollte den Karaoke-Titel und den gewonnenen Pokal im Restaurant «Jolli», eine Rotweinflasche, verteidigen. Wozu es aber aus kaum nachvollziehbaren Gründen nicht mehr kam – mutmasslich deshalb, weil entweder die Pizzeria nicht mehr existierte oder Karaoke-Mamma Simona ihre Mitsängerinnen und -sänger mittlerweile in anderen Beizen rekrutiert. Das wiederum bedrückte mehrere FCS-Senioren, welche die entsprechende Karaoke-App, die sie vor Jahresfrist im «Jolli» mitsingen liess, wie einen Tamagotchi liebevoll am Leben hielten.
Fürs Protokoll noch einen Dank an die Fahrer, die nicht nur den Hin- und Rückweg verantwortungsvoll und unfallfrei meisterten: Lolo und Urs sammelten pflichtbewusst Diskogänger ein und brachten sie sicher nach Hause. Und einmal schaffte es die FCS-Truppe sogar, sich so zusammenzuraufen, dass ihnen der Nachtportier noch drei Bier an der Hotelbar zapfte. Ein einmaliger Erfolg, denn danach blieb er unbestechlich.
Man erkennt: Vereinsreisen an den Gardasee bergen ein gewisses Risiko. Aber wer nicht wagt… so dass trotz aller Unwägbarkeiten auch diesmal der Teamspirit sicher wieder einer der Gewinner war. Eine weitere Erkenntnis: Wer unter solchen Bedingungen klarkommt, kann wirklich überall spielen – ausser vielleicht auf trockenem, festem Boden.
Herzlichen Dank an Mark für diesen sehr unterhaltsamen Bericht!